Jahreslosung ganz praktisch

Gemeinsam prüfen – weil kaum etwas feststeht

Alles genau prüfen
Thorsten Dietz und Andreas Loos sind seit einigen Monaten mit der Jahreslosung 2025 unterwegs – theologisch und persönlich. In vier Dialogen lassen uns die beiden Theologen die Jahreslosung zu einer ganzjährigen Begleitung werden.

Andreas: Weisst du noch, wie wir erst mal nicht so recht wussten, was man mit der Jahreslosung 2025 anfangen könnte? Mit ihren Vorgängerinnen aus 2023 und 2024 taten wir uns leichter bei der Erarbeitung von theologischen Arbeitshilfen.

Thorsten: Mir kam die Jahreslosung zunächst wie eine Allerweltsweisheit vor. Einmal gehört und gleich vergessen – weil sie so selbstverständlich ist. «Prüft alles und behaltet das Gute» – das klang für mich so belanglos wie «Alles hat zwei Seiten».

Andreas: Gefunkt hat es, als ich Barbara Bleischs Buch über die Mitte des Lebens las. Das passt gut zur Jahreslosung! Weil sie fragt, wie der bilanzierende Blick auf das Leben gelingen kann und das Gute so einsichtig wird. Gerade wenn es manches zu bedauern und zu betrauern gibt. Was bei mir der Fall ist. Das erste volle Kalenderjahr ohne meine verstorbene Frau liegt hinter mir. Ich bin auf eine Anwendung der Jahreslosung gestossen, die Trost-, Trotz- und Hoffnungskräfte freisetzt.

Thorsten: Biblische Worte haben Kraft. Sie gewinnen diese Kraft mit der Zeit, die wir ihnen geben. Wenn wir uns nicht nur unsere Gedanken dazu machen, sondern uns von ihnen anrühren lassen. Dann kann etwas passieren in die Richtung, wie du es erfahren hast.

Andreas: Wir können meine Anwendungserfahrung mit der Jahreslosung gerne konkretisieren. Aber lass uns vorher noch mal anders tiefer gehen: Was war ursprünglich mit der Aufforderung gemeint? Worum ging es Paulus, als er der jungen christlichen Gemeinde in Thessaloniki einen Brief schrieb?

In Thessaloniki eine fremde Welt

Thorsten: In der Auseinandersetzung wurde mir immer klarer: Das antike Thessaloniki ist eine komplett andere Welt. Christlicher Glaube wurde dort gelebt ohne Geländer. Für uns ist es nur schwer vorstellbar, was es in der jungen Gemeinde alles noch nicht gibt: kein Neues Testament! Jesusgeschichten laufen um, vielleicht auch schon schriftlich. Aber die Augenzeugen Jesu sind weit weg. Es gibt weder christliche Schriften noch Bekenntnisse oder Lehrbücher. Feste Strukturen, Ämter, Autoritäten – genauso wenig vorhanden wie Ausbildungsgänge oder Entscheidungsgremien.

Andreas: Damit wir wirklich ein Gespür entwickeln: Für die junge Gemeinde in Thessaloniki steht noch keineswegs fest, was christliche Identität und Lebensführung heissen könnten. Glaube und Kirche sind noch undefiniert und unbestimmt. Verglichen mit damals kommt mir in unseren christlichen Kulturkämpfen eine festgezurrte Überbestimmtheit entgegen. Es scheint eine Menge Leute zu geben, die genau wissen, was es mit Glauben und Kirche auf sich hat. Die Jahreslosung kommt genau an dieser Stelle ins Spiel, wo es um den damaligen Umgang mit Menschen geht, die sich in geistgewirkter, prophetischer Weise äussern.

Thorsten: Die Thessalonicher suchen Orientierung im Gottesdienst. Hier machen sie die Erfahrung prophetischer Rede. Aber offensichtlich ist prophetische Rede nicht unumstritten. Sonst würde es in den Versen, die der Jahreslosung unmittelbar vorangehen, nicht heissen: «Den Geist bringt nicht zum Erlöschen! Prophetische Rede verachtet nicht!» (1.Thessalonicher Kapitel 5, Verse 19-20). Paulus muss sich für ihre Zulassung aussprechen.

Andreas: Kleiner Verständlichkeitseinschub… Wärst du einverstanden, wenn wir Prophetie verstehen als charismatisches Reden, das Zuspruch, Ermutigung, Orientierung und Durchblick stiftet? Dann wäre das ein enormes Vertrauen, das Paulus in den Heiligen Geist und sein Reden setzt.

Thorsten: Ja, aber damit kommt zugleich eine echte Herausforderung. Paulus fordert keine blinde Unterwerfung unter das geistliche Reden von Gott. Eigentlich ist es doch der Anspruch der prophetischen Rede, der Gemeinde Orientierung zu geben. Offenheit und Gehorsam der Gemeinde wären zu erwarten – aber doch nicht der Anspruch, das Gehörte zu prüfen.

Eine Demokratisierung im Glauben

Andreas Loos
Thorsten Dietz

Andreas: Da kommt echter Prüfungsstress auf! Die Wirkungen des Geistes Gottes sind vielfältig und uneindeutig. Das gilt es auszuhalten und schätzen zu lernen. Und Paulus verdoppelt sein Vertrauen in den Heiligen Geist. Niemand kann sich anmassen, eindeutig und allgemeingültig zu sagen, was Sache ist. Weder Paulus noch die prophetisch Begabten, noch sonst wer. Entscheidend ist ein geistgeleiteter, gemeinsamer Prozess.

Thorsten: Paulus gibt der charismatischen Prüfung durch die Gemeinde einen Vorrang vor der geistgewirkten Äusserung. Jeder religiöse Geltungsanspruch muss sich der gemeinsamen Prüfung unterwerfen. Selbst dort, wo Menschen in prophetischer Weise sprechen, soll nicht einfach gefolgt, sondern kritisch nachgefragt und entschieden werden.

Andreas: Wir begegnen hier einer echten Demokratisierung des gemeinsam gelebten Glaubens.

Thorsten: Verglichen mit allen anderen religiösen Gemeinschaften ihrer Zeit steht die christliche Gemeinde der Jesusgläubigen in einem grossen Raum der Freiheit.

Andreas: Lass uns die Jahreslosung von damals in unser Leben holen. Geht das überhaupt, und wenn ja, wie? Wo entfaltet sie für uns heute verheissungsvolle Wirkungen?

Thorsten: Aus der bisherigen Beschäftigung nehme ich zwei Dinge mit: Zum einen: Unsicherheit annehmen. Wir leben in unsicheren Zeiten. Die Losung zeigt mir, dass das nichts Neues ist. Christliche Gemeinschaften haben solche Zeiten erlebt und gestaltet. Wir können die damit verbundenen Unsicherheiten annehmen. Das Vertrauen auf das Geistwirken Gottes befreit uns von der Sehnsucht, unsere Zeit schlechtzureden und sich in Pseudosicherheiten zurückzuziehen. Gott hat alle Zeit Wege für uns, auch wenn sie sich erst in geduldiger Prüfung zeigen.

Und das Zweite: in Gemeinschaft prüfen. Gott traut uns zu, gute Entscheidungen zu treffen. Er traut es uns gemeinsam zu. Angesichts der Jahreslosung mag man vielleicht schnell fragen: Prüfen woran? Was ist der Massstab? Nun gibt die Jahreslosung eine klare wie knappe Antwort. Prüft, ob es gut ist. Als Gemeinde, als Leib Christi. Wer sich an Jesus und seinem Wort orientieren will, muss sich einlassen auf den Ort, wo er in dieser Welt zu finden ist: in der Gemeinschaft, die sein Wort hört und sich darüber austauscht. Nur so entstehen neue Wege, aber so entstehen sie wirklich.

Im Niemandsland ein Weg

Andreas: 2024 fühlte sich für mich an wie Niemandsland. Lust, darauf zurückzuschauen, spürte ich nicht. Bis ich bei Barbara Bleisch las, wie viel Gutes es zu entdecken gibt, wenn im bilanzierenden Rückblick Gefühle der Trauer und des Bedauerns aufkommen. Ich habe viel betrauert. Was ist mir mit meiner Frau nicht alles entrissen worden? Aber als ich wagte, das alles tiefer anzuschauen, stieg das Gute auf: Ich habe es überlebt. Es gibt mindestens noch so viel von mir, dass ich mich trotzig an einem Ja zum Leben abarbeite. Ich habe bedauert, dass manche fernblieben oder meinten, meine theologisch-spirituelle Entwicklung würde mich blockieren. Lieb gemeint, aber danke, ich wies das zurück. Stattdessen folgte ich der Stimme meiner Freunde: Gib deiner Seele Priorität und nimm fachliche Hilfe in Anspruch. Wie gut, eine Prüfgemeinschaft zu haben, in der das Gute identifiziert wird.

«Prüfet alles und behaltet das Gute» lässt sich auch anwenden, wenn du dir fast sicher bist, dass alles mehr oder weniger grosser Mist war. Mir wurde klar: Ich bin auf gutem Weg und will ihn mit Grosszügigkeit gegenüber mir und allen anderen gehen. Es gibt Raum zur Entwicklung. Und der Sinn für die Möglichkeit des Guten. Sanft ist er noch da.

Dr. Andreas Loos und Dr. Thorsten Dietz sind Theologen und arbeiten beide bei Fokus Theologie, einer Stelle für Erwachsenenbildung in den Deutschschweizer Reformierten Landeskirchen (fokustheologie.ch). Gemeinsam betreiben sie auch den Podcast «Geist.Zeit».

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Datum: 03.03.2025
Autor: Thorsten Dietz und Andreas Loos
Quelle: Magazin Aufatmen 01/2025, SCM Bundes-Verlag

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